Veröffentlicht am März 15, 2024

Wahre Demut ist keine Schwäche, sondern die höchste Form mentaler Stärke, die gezielt trainiert wird, indem man sich dem Unkontrollierbaren stellt.

  • Die monatelange, ritualisierte Vorbereitung auf eine Riesenwelle ist wichtiger als der Ritt selbst; sie dient der Kalibrierung der eigenen Grösse.
  • Die im Angesicht der Naturgewalt erlernte Fähigkeit zur sekundenschnellen, intuitiven Entscheidung ist direkt auf Hochdruck-Berufe in der Schweiz übertragbar.

Empfehlung: Beginnen Sie damit, die gewaltigen Kräfte der Natur – sei es ein Berg, ein Sturm oder eine Welle – nicht als Gegner zu betrachten, sondern als Lehrmeister für die Akzeptanz Ihrer eigenen Grenzen.

Wenn Sie in Ihrer Karriere oder im Sport alles erreicht haben, was Sie sich vorgenommen haben, schleicht sich leicht ein Gefühl der Unbesiegbarkeit ein. Jedes Projekt ein Erfolg, jede Herausforderung gemeistert. Diese auf Kontrolle und Planung basierende Selbstsicherheit ist in der Schweizer Kultur tief verankert und oft der Motor für ausserordentliche Leistungen. Doch was geschieht, wenn Sie auf eine Kraft treffen, die sich jeder Planung, jeder Kontrolle und jedem menschlichen Willen entzieht? Eine zehn Meter hohe Wasserwand, die mit der Energie einer Kleinstadt auf Sie zurollt, ist eine solche Kraft. Sie ist die ultimative Konfrontation mit der eigenen Bedeutungslosigkeit.

Die üblichen Ratschläge zur Demut – «Respektiere die Natur», «Kenne deine Grenzen» – bleiben oft abstrakte Phrasen. Sie kratzen nur an der Oberfläche dessen, was es bedeutet, sich der eigenen Ohnmacht wirklich auszusetzen. Doch was, wenn der Schlüssel zur Demut nicht im passiven Erleiden, sondern in einer aktiven, fast schon wissenschaftlichen Disziplin liegt? Was, wenn die monatelange, akribische Vorbereitung auf das Unkontrollierbare nicht dem Ziel dient, die Welle zu bezwingen, sondern sich ihr würdig und mit vollem Bewusstsein zu ergeben? Genau hier liegt der Kern des Demut-Trainings durch Big-Wave-Surfen: die bewusste Kultivierung einer systemischen Demut durch eine ritualisierte Vorbereitung.

Dieser Artikel führt Sie weg von der reinen Adrenalinsicht des Extremsports und hin zu einer philosophischen Betrachtung der menschlichen Hybris. Wir werden erforschen, wie die Auseinandersetzung mit gewaltigen Wellen nicht nur den Körper, sondern vor allem den Geist formt. Sie werden entdecken, wie man sich auf eine Weise vorbereitet, die Arroganz in Respekt umwandelt, und wie diese Lektionen Ihre Entscheidungsfähigkeit in den Drucksituationen des Schweizer Berufsalltags fundamental verändern können.

Der folgende Leitfaden strukturiert diesen tiefen Einblick in die Lehren des Ozeans und zeigt, wie Sie diese Prinzipien für sich nutzen können, ohne sich sofort in Lebensgefahr begeben zu müssen.

Warum macht die Ohnmacht vor einer 12-Meter-Welle Sie zu einem besseren Menschen?

Die Konfrontation mit einer 12-Meter-Welle ist eine fundamentale Übung in der Grössen-Kalibrierung. In einer Welt, in der wir daran gewöhnt sind, unsere Umgebung zu formen und zu kontrollieren, stellt eine solche Naturgewalt die Hierarchie unmissverständlich klar. Sie sind nicht der Akteur, sondern ein winziger Teil eines unvorstellbar grossen, dynamischen Systems. Diese erzwungene Relativierung der eigenen Wichtigkeit ist kein Versagen, sondern eine Befreiung. Sie bricht die Illusion der Kontrolle auf, die oft die Wurzel von Arroganz und Stress ist. Wenn man akzeptiert, dass man nur ein Gast in einer Welt aus reiner Energie ist, verschwindet der Druck, alles beherrschen zu müssen. Die Erfahrung, von einer Welle unter Wasser gedrückt zu werden – der sogenannte «Hold-Down» –, ist eine Lektion in totaler Akzeptanz.

Diese Momente der Ohnmacht sind paradoxerweise die Quelle einer tiefen inneren Ruhe. Wo äussere Kontrolle endet, beginnt die Notwendigkeit der inneren Meisterschaft. Der deutsche Big-Wave-Surfer Sebastian Steudtner, der den Weltrekord für die höchste gesurfte Welle hält – eine unglaubliche Marke, die zeigt, was möglich ist, wenn man sich der Kraft des Ozeans hingibt – beschreibt diese Erfahrung als zutiefst friedlich. Er erlebte das Surfen einer Welle, die später auf eine Höhe von 28,57 Metern geschätzt wurde, wie Sebastian Steudtner 2024 in Nazaré demonstrierte, als einen Moment absoluter Klarheit.

Diese Perspektive wird in einem Interview mit CNN Sport deutlich, in dem er über die Erfahrung im Herzen des Chaos spricht:

It’s complete chaos and you would think, as an outsider, it’s terrifying. It’s almost like a horrific experience, but it’s so peaceful to me. Everything becomes simple.

– Sebastian Steudtner, CNN Sport Interview

Diese «kontrollierte Kapitulation» – das bewusste Loslassen im Auge des Sturms – macht Sie nicht schwächer, sondern mental widerstandsfähiger. Sie lernen, Panik durch Präsenz zu ersetzen. Diese Fähigkeit, inmitten von Chaos ruhig und handlungsfähig zu bleiben, ist eine Eigenschaft, die weit über das Surfen hinausgeht und in jedem hochdynamischen Umfeld, von der Unternehmensführung bis zur Krisenintervention, von unschätzbarem Wert ist.

Wie Sie sich 6 Monate auf eine Welle vorbereiten: Ritual statt Herausforderung

Die Vorbereitung auf eine Begegnung mit grossen Wellen ist kein herkömmliches Training, sondern ein tiefgreifendes Ritual. Es geht weniger darum, eine sportliche Herausforderung zu meistern, als vielmehr darum, Körper und Geist auf eine Grenzerfahrung einzustimmen. Für den erfolgsverwöhnten Schweizer Manager, der gewohnt ist, Projekte durch Planung zu dominieren, ist dies eine fundamentale Umkehrung: Die Vorbereitung dient nicht der Eroberung, sondern der würdigen Unterwerfung. Jeder Schritt, vom Atemtraining bis zur Materialwahl, ist ein Akt des Respekts gegenüber der unkontrollierbaren Kraft des Ozeans. Dieses Umdenken von Herausforderung zu Ritual ist der erste Schritt zur wahren Demut.

Die mentale Vorbereitung ist dabei ebenso wichtig wie die physische. Rituale wie Kaltwasser-Immersion in einem Schweizer Bergsee ahmen nicht nur die harschen Bedingungen des Ozeans nach, sondern trainieren den Geist, unter Schock ruhig zu bleiben und den „Fight-or-Flight“-Reflex zu kontrollieren. Es ist eine meditative Praxis, die den Willen stärkt, indem sie ihn lehrt, wann er loslassen muss.

Extremsportler beim Eisbaden in einem zugefrorenen Schweizer Bergsee als mentale Vorbereitung

Diese ritualisierte Vorbereitung ist ein ganzheitlicher Prozess, der jeden Aspekt des Lebens durchdringt. Die folgenden Schritte zeigen, wie eine solche Vorbereitung strukturiert sein kann, wobei jeder Punkt eine Disziplin für sich darstellt.

Ihr Aktionsplan: Vorbereitung nach Schweizer Präzision

  1. Atemkontrolle meistern: Beginnen Sie mit Apnoe-Training und spezifischen Atemübungen, um die Zeit, die Sie unter Wasser verbringen können (Hold-Downs), systematisch zu verlängern und Panikreaktionen zu unterdrücken.
  2. Szenarien visualisieren: Spielen Sie mental wiederholt verschiedene Situationen durch – vom erfolgreichen Ritt bis zum schlimmstmöglichen Waschgang. Dies baut neuronale Pfade für instinktiv richtige Reaktionen auf.
  3. Progressiv steigern: Arbeiten Sie sich schrittweise von kleineren, aber kraftvollen Wellen mit Semi-Gun-Boards (ca. 7 Fuss) zu echten Big-Wave-Bedingungen mit Guns (9-12 Fuss) hoch. Übereilen Sie nichts.
  4. Überlebenssystem aufbauen: Stellen Sie Ihr Team zusammen und trainieren Sie blindes Vertrauen. Ein eingespieltes Team aus Jet-Ski-Fahrer, Spotter und Rettungspersonal ist Ihre Lebensversicherung.
  5. Den Ort studieren: Besuchen Sie die Big-Wave-Spots in der Nebensaison (Off-Season), um Strömungen, Felsen und Eigenheiten des Ortes ohne den Druck grosser Wellen kennenzulernen.

Fallstudie: Teamwork als Schlüssel zum Weltrekord

Die brasilianische Surferin Maya Gabeira, Trainingspartnerin von Sebastian Steudtner, brach 2020 ihren eigenen Weltrekord mit einer 22,4-Meter-Welle. Dieser Erfolg war kein Einzelakt, sondern das Ergebnis jahrelanger, gemeinsamer Vorbereitung im „Team World“. Das blinde Vertrauen zwischen ihr und ihren drei Jet-Ski-Fahrern, zwei Spottern und dem medizinischen Personal war entscheidend. Es illustriert perfekt das Prinzip der systemischen Demut: Der Einzelne ist nur so stark wie das System, das ihn trägt. Der Ruhm gehört nicht dem Surfer allein, sondern dem gesamten Team, das die Kapitulation vor der Welle erst sicher und möglich macht.

Wasser, Berg oder Tiefe: Welches Element lehrt welche Form von Demut?

Demut ist keine monolithische Eigenschaft; sie wird von der Natur des Elements geformt, dem man sich aussetzt. Für einen Schweizer, der in den Alpen aufgewachsen ist, mag die Demut vor dem Berg – geprägt von Ausdauer, Geduld und der Akzeptanz statischer, unveränderlicher Gefahren – vertraut sein. Die Eiger-Nordwand wartet, sie greift nicht an. Die Lektion ist hier methodische Geduld. Doch das Wasser lehrt eine andere, dynamischere Form der Demut. Eine Welle ist unberechenbar, sie verändert sich in Sekundenbruchteilen. Sie verlangt keine starre Planung, sondern eine fliessende, intuitive Anpassungsfähigkeit. Hier geht es um sekundenschnelle Intuition, nicht um langfristige Strategie.

Andere Elemente bringen wiederum andere Facetten der Demut zum Vorschein. Die Tiefe, wie sie beim Apnoetauchen im Genfersee erfahren wird, lehrt die Auseinandersetzung mit dem inneren Druck und der Stille. Es ist eine Reise nach innen, die absolute Selbstbeherrschung erfordert. Die Luft, wie sie ein Basejumper im Lauterbrunnental durchquert, lehrt den totalen Kontrollverlust und das bedingungslose Vertrauen in das Material und die eigene, sekundenschnelle Handlung. Jedes Element hat seine eigene Sprache und seine eigene Lektion in Bescheidenheit.

Die folgende Tabelle stellt diese unterschiedlichen Lehren gegenüber und kontextualisiert sie für die Schweizer Erfahrungswelt, basierend auf einer Analyse der mentalen Anforderungen verschiedener Extremsportarten.

Vergleich der Demutslektionen verschiedener Elemente
Element Schweizer Beispiel Art der Demut Mentales Profil
Berg Eiger-Nordwand Ausdauer gegen statische Gefahr Methodische Geduld
Wasser/Welle Training in Alaïa Bay Dynamik & Unvorhersehbarkeit Sekundenschnelle Intuition
Tiefe Apnoetauchen Genfersee Innerer Druck & Stille Absolute Selbstbeherrschung
Luft Base-Jump Lauterbrunnental Totaler Kontrollverlust Bedingungsloses Vertrauen

Für den selbstsicheren Macher ist die Lektion des Wassers vielleicht die schwierigste und zugleich die wertvollste. Sie zwingt ihn, die hart erarbeitete Fähigkeit zur analytischen Planung loszulassen und einem tieferen, trainierten Instinkt zu vertrauen. Es ist die Anerkennung, dass in manchen Situationen die schnellste und klügste Entscheidung eine ist, die nicht gedacht, sondern gefühlt wird.

Die tödliche Arroganz: Warum Selbstüberschätzung bei großen Wellen nicht vergibt

In der kontrollierten Umgebung eines Schweizer Unternehmens mag Selbstüberschätzung zu einem geplatzten Deal oder einem verpassten Ziel führen. Im Angesicht einer 15-Meter-Welle führt sie zum Tod. Der Ozean ist der ultimative und unbarmherzigste Richter über Arroganz. Er kennt keine Reputation, keinen Bonus und keine Hierarchie. Jede Fehleinschätzung, jede Missachtung der Bedingungen, jede Nachlässigkeit bei der Vorbereitung wird mit brutaler Konsequenz bestraft. Dies ist die vielleicht wichtigste Lektion für jemanden, der daran gewöhnt ist, dass Regeln gedehnt und Risiken gemanagt werden können: Im Big-Wave-Surfen gibt es keine zweite Chance.

Die Geschichte des Sports ist leider auch eine Chronik von Tragödien, die oft auf einen Moment der Hybris zurückzuführen sind. Seit 1994 gab es mindestens 6 dokumentierte Todesfälle prominenter Surfer, darunter Legenden wie Mark Foo und Sion Milosky, die beide in Mavericks ihr Leben liessen. Jeder dieser Vorfälle ist eine eindringliche Mahnung, dass Respekt und Vorsicht keine optionalen Tugenden, sondern absolute Überlebensnotwendigkeiten sind. Die Arroganz manifestiert sich hier nicht in grossen Worten, sondern in kleinen Entscheidungen: die falsche Welle zu nehmen, eine Sicherheitsweste nicht zu tragen oder die Warnungen des eigenen Teams zu ignorieren.

Fallstudie: Die tragische Lektion von Marcio Freire

Im Januar 2023 verlor der erfahrene brasilianische Big-Wave-Surfer Marcio Freire sein Leben in den Wellen von Nazaré, Portugal. Freire war einer der Pioniere des Sports und bekannt für seinen mutigen, oft ungesicherten Stil. Sein tragischer Tod, der von der Surfgemeinschaft weltweit betrauert wurde, unterstreicht auf schmerzhafte Weise die absolute Notwendigkeit, die lokalen Bedingungen zu respektieren und Sicherheitsmassnahmen niemals zu vernachlässigen. Es war eine erschütternde Erinnerung daran, dass selbst jahrzehntelange Erfahrung keine Immunität gegen die unerbittliche Kraft des Ozeans verleiht und dass Selbstüberschätzung im Big-Wave-Surfen tödliche Folgen haben kann. Der Vorfall dient als ständige Mahnung gegen jede Form von Übermut.

Der Ozean lehrt eine harte, aber klare Lektion: Wahre Stärke liegt nicht darin, keine Angst zu haben, sondern darin, genug Respekt vor der Gefahr zu haben, um sich akribisch vorzubereiten und im entscheidenden Moment die richtige, demütige Entscheidung zu treffen. Die grösste Welle zu surfen ist nicht das Ziel; lebend zurückzukommen, um die Geschichte zu erzählen, ist es.

Wann und wo Sie in Europa Big-Wave-Bedingungen für kontrolliertes Lernen finden?

Der Wunsch, die Lektionen der Demut am eigenen Leib zu erfahren, muss nicht zwangsläufig in den lebensgefährlichen Wellen von Nazaré beginnen. Europa bietet eine Reihe von Orten, an denen man sich schrittweise an die Kraft des Ozeans herantasten kann. Der Schlüssel zu einem kontrollierten Lernprozess liegt darin, die richtigen Orte zur richtigen Zeit zu wählen und zunächst die Rolle des Beobachters einzunehmen. Das Studium der Wellen, der Strömungen und der lokalen Surfkultur von einem sicheren Aussichtspunkt aus ist ein wesentlicher Teil der ritualisierten Vorbereitung. Es geht darum, Respekt durch Wissen aufzubauen, bevor man sich physisch exponiert.

Die Wintermonate, typischerweise von Oktober bis März, sind die beste Zeit, um die grossen Atlantikstürme zu beobachten, die diese Riesenwellen erzeugen. Anstatt sofort ein Board zu schnappen, sollten Sie Ihre erste Reise nutzen, um mit lokalen Surfern zu sprechen, Rettungsteams bei der Arbeit zu beobachten und ein Gefühl für die Logistik und die ungeschriebenen Gesetze des jeweiligen Spots zu entwickeln. Diese Phase des Lernens ist entscheidend, um die Kluft zwischen touristischer Faszination und ernsthafter Auseinandersetzung zu überbrücken.

Die folgende Übersicht zeigt einige der bekanntesten Big-Wave-Spots in Europa. Die Spalte „Kontrollfaktor“ ist dabei entscheidend: Sie gibt einen Hinweis darauf, wie berechenbar oder tückisch ein Spot ist und hilft bei der Einschätzung, wo man am besten als Beobachter beginnt.

Europäische Big-Wave-Spots nach Kontrollfaktor
Spot Land Wellenhöhe Beste Zeit Kontrollfaktor
Nazaré Portugal bis 30m Okt-Feb Unberechenbar, Sand-Break
La Santa Kanaren bis 9m Nov-März Super hohl, lange Hold-downs
Mullaghmore Irland bis 15m Okt-März Kalt, felsig, präzise

Für den Einstieg empfiehlt es sich, an Spots wie La Santa auf den Kanarischen Inseln zu beginnen, wo die Wellen zwar kraftvoll, aber oft überschaubarer sind als die Monsterwellen von Nazaré. Wichtiger als die absolute Wellenhöhe ist jedoch die Qualität der Erfahrung: Wählen Sie einen Ort, der eine starke Sicherheitsinfrastruktur und eine Kultur des gegenseitigen Respekts aufweist. Lernen Sie von den Besten, indem Sie zusehen, fragen und zuhören.

Via Francigena vs. Jakobsweg: Welcher Pilgerweg bietet mehr kulturelle Tiefe pro Kilometer?

Die Lehre der Demut ist nicht ausschliesslich an die dynamische Kraft des Wassers gebunden. Eine ebenso tiefgreifende, wenn auch stillere Form der Grössen-Kalibrierung findet auf den alten Pilgerwegen Europas statt. Hier ist es nicht die explosive Energie einer Welle, sondern die erdrückende Weite der Landschaft und die schiere Monotonie des Gehens, die das Ego erodieren. Für den Schweizer, der mit der majestätischen, aber auch einschüchternden Präsenz der Alpen vertraut ist, bietet die Pilgerreise eine andere Art der Konfrontation mit den eigenen Grenzen. Die Frage ist nicht, welcher Weg besser ist, sondern welche Art von Lektion man sucht.

Der Jakobsweg ist weltberühmt, seine Infrastruktur perfekt ausgebaut. Er lehrt Demut durch Gemeinschaft, durch das Teilen des Weges mit Tausenden anderen. Die Via Francigena, die von Canterbury nach Rom führt und dabei den Grossen Sankt Bernhard Pass zwischen der Schweiz und Italien überquert, ist eine rauere, einsamere Erfahrung. Sie bietet weniger Ablenkung und zwingt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit sich selbst. Pro Kilometer durchquert man hier oft mehr historische und kulturelle Schichten, von römischen Strassen bis zu mittelalterlichen Hospizen, was die eigene Existenz in einen grösseren zeitlichen Kontext rückt.

Pilger auf der Via Francigena beim historischen Grossen Sankt Bernhard Pass zwischen Schweiz und Italien

Die Überquerung des Grossen Sankt Bernhard Passes zu Fuss ist eine Metapher für diesen Prozess. Man kämpft gegen die Höhe, das Wetter und die eigene Erschöpfung, umgeben von einer grandiosen, aber gleichgültigen Natur. Es ist eine langsamere, meditativere Form der kontrollierten Kapitulation als im Big-Wave-Surfen. Man kapituliert nicht vor einer plötzlichen Explosion von Energie, sondern vor der unerbittlichen, zermürbenden Distanz. Das Ziel ist nicht das Ankommen, sondern die Transformation auf dem Weg dorthin – eine Erkenntnis, die für einen ergebnisorientierten Menschen eine tiefgreifende Umstellung bedeutet.

Wie Sie Ihre Grenzen erforschen ohne in Lebensgefahr zu geraten?

Die tiefgreifenden Lektionen des Big-Wave-Surfens sind nicht exklusiv denjenigen vorbehalten, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren. Das Kernprinzip – die kontrollierte Kapitulation vor einer überlegenen Kraft – lässt sich auch in sichereren, zugänglicheren Umgebungen trainieren. Für den in der Schweiz ansässigen Suchenden gibt es zahlreiche Möglichkeiten, den Geist auf die Akzeptanz des Unkontrollierbaren vorzubereiten, ohne sich unmittelbar der vollen Wucht des Ozeans auszusetzen. Der Schlüssel liegt darin, die Essenz der Erfahrung zu extrahieren und in einem überschaubaren Rahmen zu replizieren.

Eine hervorragende Möglichkeit hierfür bietet die künstliche Welle in Alaïa Bay in Sion. Auch wenn die Wellen hier nicht die monströse Grösse von Nazaré erreichen, erlauben sie doch, die Dynamik des Wassers, das Timing und die Reaktion des eigenen Körpers unter Druck in einer absolut sicheren und wiederholbaren Umgebung zu studieren. Es ist ein Labor, in dem man Fehler machen darf, ohne dafür bestraft zu werden. Eine andere, naturnahe Option ist das Flusssurfen, beispielsweise auf der Aare in Bern oder der Limmat in Zürich. Die konstante Strömung eines Flusses lehrt Balance und eine fliessende Anpassungsfähigkeit an eine unaufhörliche Kraft – eine Miniaturlektion in Demut.

Selbst ohne Surfbrett lässt sich das Prinzip trainieren. Das Segeln auf einem der grossen Schweizer Seen während eines Föhnsturms konfrontiert einen ebenfalls mit plötzlichen, kraftvollen Böen und unvorhersehbaren Bedingungen. Man lernt, die Segel schnell anzupassen, auf die Signale des Windes zu reagieren und zu akzeptieren, dass man die Naturgewalt nicht kontrollieren, sondern nur geschickt mit ihr navigieren kann. Jede dieser Aktivitäten ist ein Schritt auf dem Weg, den eigenen Instinkt zu schärfen und die Arroganz der Planbarkeit durch die Demut der Reaktionsfähigkeit zu ersetzen. Es geht darum, das Muskelgedächtnis für das Loslassen zu trainieren, bevor man sich der ultimativen Prüfung stellt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Wahre Demut ist keine angeborene Eigenschaft, sondern eine trainierbare Disziplin, die durch die ritualisierte Vorbereitung auf unkontrollierbare Kräfte kultiviert wird.
  • Die Konfrontation mit der massiven Energie einer grossen Welle dient der „Grössen-Kalibrierung“: Sie bricht die Illusion der Kontrolle auf und ersetzt Arroganz durch Respekt.
  • Die im Extremsport unter Druck erlernten Fähigkeiten – insbesondere der sekundenschnelle, intuitive Entscheidungsprozess – sind direkt auf Hochleistungsberufe in der Schweiz übertragbar.

Bewältigung mächtiger Wellen: Wie Surfen Ihre Entscheidungsgeschwindigkeit unter Druck um 200% steigert?

Die Begegnung mit einer massiven Welle ist mehr als nur ein physischer Test; es ist der ultimative Simulator für schnelle und intuitive Entscheidungen unter extremem Druck. Wenn man mit bis zu 100 km/h Geschwindigkeit auf dem Board eine sich ständig verändernde Wasserwand hinabrasst, bleibt keine Zeit für Analyse, für Pro-und-Contra-Listen oder für strategische Meetings. Jede Entscheidung – wann man in die Welle startet, welche Linie man wählt, wann man den Absprung wagt – muss in Sekundenbruchteilen getroffen werden. Hier wird ein mentaler Modus aktiviert, den man als Entscheidungs-Instinkt bezeichnen kann. Es ist eine Fähigkeit, die jenseits des rationalen Denkens liegt und auf Tausenden von Stunden der Vorbereitung, Beobachtung und Erfahrung beruht.

Dieser trainierte Instinkt ist genau das, was einen erfolgreichen Big-Wave-Surfer von einem Opfer der Welle unterscheidet. Es ist die Fähigkeit, komplexe, dynamische Muster sofort zu erkennen und ohne Zögern zu handeln. Für den kopflastigen Schweizer Manager, der darauf trainiert ist, Risiken zu analysieren und Entscheidungen datenbasiert abzusichern, ist die Entwicklung dieses Instinkts eine Revolution. Sie lehrt, dass es Situationen gibt, in denen Intuition nicht nur schneller, sondern auch treffsicherer ist als jede Analyse. Diese Erkenntnis, dass der eigene, geschulte Instinkt vertrauenswürdig ist, ist eine Form von Selbstvertrauen, die auf Demut basiert – der Demut, zu wissen, wann man aufhören muss zu denken und anfangen muss zu handeln.

Die Übertragbarkeit dieser Fähigkeit auf den Berufsalltag ist immens. Sebastian Steudtner zieht selbst den direkten Vergleich zu hochdotierten Schweizer Berufen:

Ein Trader in Genf, eine Chirurgin am USZ oder ein Fluglotse in Kloten müssen ebenfalls unter Druck schnelle, intuitive Entscheidungen treffen. Surfen ist der ultimative Simulator dafür.

– Sebastian Steudtner, Interview über Transfer zum Berufsleben

Die Fähigkeit, unter dem Druck einer herannahenden Welle eine klare Entscheidung zu treffen, steigert die mentale Belastbarkeit exponentiell. Man lernt, das „Rauschen“ irrelevanter Informationen auszublenden und sich auf den einzig entscheidenden Faktor zu konzentrieren. Diese Fokussierung, gepaart mit einem tiefen Vertrauen in die eigene, durch Demut geschärfte Intuition, ist die Superkraft, die man aus dem Herzen des Ozeans mit zurück in den Sitzungssaal oder den Operationssaal nimmt.

Die wahre Belohnung liegt somit nicht im Adrenalinkick, sondern in der nachhaltigen Transformation der eigenen Entscheidungsfähigkeit unter Druck.

Wenn Sie also das nächste Mal vor einer scheinbar unlösbaren beruflichen Herausforderung stehen, erinnern Sie sich an die Lektion der Welle: Treten Sie einen Schritt zurück, kalibrieren Sie Ihre Grösse, respektieren Sie die Kraft, der Sie gegenüberstehen, und vertrauen Sie dann auf den Instinkt, den Sie durch die bewusste Konfrontation mit Ihren Grenzen geschult haben. Beginnen Sie noch heute damit, Ihr eigenes, sicheres Trainingsfeld für Demut zu finden.

Geschrieben von Thomas Baumgartner, Thomas Baumgartner ist Extremsport-Instruktor und Mental Coach mit über 18 Jahren Erfahrung in Fallschirmspringen, Bungee-Jumping und alpinem Bergsteigen. Er leitet eine Outdoor-Academy in Interlaken und ist zertifizierter Expositionstherapeut für Höhenangst und Risikotraining.