Publié le 15 mai 2024

Entgegen den Marketing-Versprechen sind die meisten teuren Hightech-Eigenschaften von Sportbekleidung in realen Schweizer Bedingungen nutzlos oder sogar kontraproduktiv.

  • Die Atmungsaktivität einer Jacke hängt mehr vom Wetter ab als von der Membran selbst.
  • Falsch verstandene Pflege (zu seltenes Waschen) zerstört die Funktion Ihrer Ausrüstung schneller als der Gebrauch.

Empfehlung: Konzentrieren Sie sich auf grundlegende Materialeigenschaften und eine korrekte Anwendung statt auf Marketing-Jargon. Dieser Guide zeigt Ihnen, wie Sie den Code knacken und nur für echte Leistung bezahlen.

Jeder Schweizer Sportler kennt dieses Gefühl des physischen Verrats: Man hat über 500 CHF für eine hochmoderne Regenjacke ausgegeben, die absolute Wasserdichtigkeit und maximale Atmungsaktivität verspricht. Doch nach einer Stunde Aufstieg zum Pilatus fühlt man sich von innen genauso nass, als hätte man eine Plastiktüte an. Die Industrie bombardiert uns mit geschützten Begriffen wie Gore-Tex®, Dri-FIT® oder Polartec®, preist Wassersäulen und revolutionäre Nanofasern an. Man rät uns zum Zwiebelprinzip und zur Investition in Qualität.

Doch was, wenn das eigentliche Problem nicht die Qualität, sondern die Komplexität und der irreführende Marketing-Sprech ist? Was, wenn die teuerste Membran nutzlos ist, weil die physikalischen Bedingungen in den Voralpen ihre Funktion unmöglich machen? Als Textiltechnologe mit 15 Jahren Erfahrung in der Entwicklung ebenjener Materialien kann ich Ihnen versichern: Die meisten Sportler bezahlen für einen Etikettenwert, nicht für einen echten Gebrauchswert. Sie fallen auf Kauf-Fallen herein, die durch grundlegendes Wissen über die Material-Wahrheit leicht zu umgehen wären.

Dieser Artikel ist eine Desillusionierung. Er übersetzt das Marketing-Latein in verständliche Physik und Chemie. Er gibt Ihnen die Werkzeuge, um Bullshit von echten Innovationen zu unterscheiden und Ihre Ausrüstung so zu pflegen, dass sie ihre Funktion tatsächlich behält. Wir werden die Mythen um Atmungsaktivität, Materialwahl und Pflege zerstören, damit Ihre nächste Investition Sie wirklich trocken hält und Ihre Leistung steigert – nicht nur das Konto der Hersteller füllt.

Um Ihnen eine klare und strukturierte Übersicht zu bieten, haben wir die entscheidenden Fragen in diesem Artikel zusammengefasst. Der folgende Inhalt führt Sie schrittweise durch die komplex erscheinende Welt der Funktionsmaterialien und liefert Ihnen die Antworten, die Sie für eine fundierte Kaufentscheidung benötigen.

Warum kann eine Jacke wasserdicht sein und Sie trotzdem von innen durchnässen?

Das Phänomen, in einer sündhaft teuren Regenjacke im eigenen Schweiss zu baden, ist kein Produktfehler, sondern simple Physik, die das Marketing gerne verschweigt. Eine Membran wie Gore-Tex ist keine magische Haut, sondern funktioniert über ein Dampfdruckgefälle. Wasserdampf (Ihr Schweiss) bewegt sich nur dann von der warmen, feuchten Innenseite zur kälteren, trockeneren Aussenseite, wenn ein signifikanter Unterschied in Temperatur und Luftfeuchtigkeit besteht. An einem schwülen, milden Sommertag in der Schweiz, bei 15°C und 90% Luftfeuchtigkeit, ist dieses Gefälle minimal. Die Membran « atmet » kaum, der Schweiss kondensiert an der Innenseite der Jacke und Sie werden nass.

Die oft beworbene « Atmungsaktivität » wird technisch mit dem RET-Wert (Resistance to Evaporating Heat Transfer) gemessen. Ein niedriger RET-Wert (0-6) bedeutet hohe Atmungsaktivität. Doch selbst eine Jacke mit einem exzellenten RET-Wert von 3 versagt, wenn die äusseren Bedingungen nicht mitspielen. Das ist die kalte Material-Wahrheit: Die Umgebung diktiert die Funktion, nicht das Preisschild. Ein weiterer Faktor ist das sogenannte « Wetting-out ». Wenn die äussere DWR-Imprägnierung (Durable Water Repellency) versagt und sich der Oberstoff mit Wasser vollsaugt, bildet sich ein Wasserfilm, der die Poren der Membran blockiert. Die Atmungsaktivität sinkt auf null, auch wenn die Jacke von aussen noch dicht ist.

Sie bezahlen also nicht für eine garantierte Funktion, sondern für ein Potenzial, das nur unter bestimmten Idealbedingungen ausgeschöpft wird. Das ist keine Täuschung, aber eine gezielte Auslassung entscheidender Informationen im Verkaufsgespräch.

Wie Sie die Lebensdauer Ihrer Gore-Tex-Jacke durch richtige Wäsche verdreifachen?

Der grösste Mythos in der Outdoor-Branche ist die Angst, eine teure Funktionsjacke durch Waschen zu ruinieren. Das Gegenteil ist der Fall: Das Vermeiden der Waschmaschine ist der schnellste Weg, eine 500-CHF-Jacke in ein nutzloses Stück Stoff zu verwandeln. Der Grund dafür sind nicht sichtbarer Schmutz, sondern Hautfette, Salz aus dem Schweiss und Sonnencreme-Rückstände. Diese Substanzen sind hydrophil (wasseranziehend) und verstopfen die mikroskopisch kleinen Poren der ePTFE-Membran. Gleichzeitig zersetzen sie die DWR-Imprägnierung des Aussenstoffs.

Ein korrekter Waschgang mit einem speziellen Funktionswaschmittel reinigt diese Poren und entfernt die schädlichen Rückstände. Doch der entscheidende Schritt, den 90% der Nutzer ignorieren, kommt danach: die Reaktivierung der DWR-Imprägnierung durch Wärme. Geben Sie die Jacke für 20 Minuten bei niedriger Temperatur in den Wäschetrockner oder bügeln Sie sie auf niedrigster Stufe (mit einem Tuch dazwischen). Die Wärme richtet die mikroskopischen « Härchen » der DWR-Beschichtung wieder auf, sodass Wasser erneut abperlen kann, anstatt den Stoff zu durchtränken.

Detailaufnahme einer Gore-Tex-Jacke, die den Abperleffekt einer intakten DWR-Beschichtung zeigt
Rédigé par Lukas Gerber, Lukas Gerber ist Textiltechnologe mit Masterabschluss der ETH Zürich und 10 Jahren Erfahrung in der Entwicklung funktionaler Sportbekleidung. Er arbeitet als Produktentwicklungsleiter bei einem Schweizer Sportbekleidungshersteller und ist spezialisiert auf intelligente Textilien und nachhaltige Materialinnovationen.